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14.01.2019 | Johanna Stein

hpm trifft niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies und der hpm Geschäftsführer André Pohl diskutieren über Umweltschutz und Kreislaufwirtschaft.

Osnabrück. Ein Bild auf Twitter mit Umweltminister Olaf Lies, der am Bahnhof einen Kaffee im To-go-Becher kauft? Die Kommentare würden nicht lange auf sich warten lassen. Darf man das als Umweltminister? Und vor welchen Herausforderungen stehen wir aktuell beim Thema Recycling und Kreislaufwirtschaft? Darüber haben André Pohl, Geschäftsführer von Hellmann Process Management, und Olaf Lies diskutiert.

Als Umweltminister hat man es schon nicht leicht. Wenn man im Supermarkt zur Plastiktüte greift, fällt das auf. „Ich bin sofort angesprochen worden, dass ich das als Umweltminister doch nicht machen könnte“, erinnert sich Olaf Lies. „Im Alltagstrott hat man sich an bestimmte Dinge gewöhnt. Bemerkungen wie diese bringen einen jedoch dazu, noch genauer nachzudenken und noch einmal bewusster mit dem Thema Plastik und Nachhaltigkeit umzugehen.“ Ein Vorteil, findet der Umweltminister.

Noch genauer als bei der Plastiktüte schaut Olaf Lies jedoch bei einer anderen Angewohnheit hin – und verzichtet: beim schnellen Kaffee am Bahnhof. „Da muss ich mich echt zusammenreißen. Mit einem To-go-Becher ins Ministerium zu kommen ist ein No-Go. Da muss ich als Minister mit gutem Beispiel vorangehen.“ „Ich ärgere mich über mich selbst, wenn ich dann doch einen To-go-Becher in der Hand habe“, ergänzt André Pohl aus eigener Erfahrung.

Es sind viele dieser kleinen Angewohnheiten wie auch die Nutzung von Einweg-Stiften im Büro statt Mehrweg, auf die Lies und Pohl im Laufe des Gesprächs zu sprechen kommen. Diese Kleinigkeiten sind jedoch häufig – wie bei der Diskussion um To-go-Becher – zu einem Sinnbild von Verschwendung und Umweltverschmutzung geworden. „Wir haben uns an so viele Dinge gewöhnt. Sich wieder zu entwöhnen ist schwierig“, gibt Lies zu. Denn so vieles ist einfach praktisch. „Ziel muss es sein, sich – zum Beispiel beim schnellen Kaffee zwischendurch – an Mehrwegbecher zu gewöhnen“, so der Umweltminister. Wobei das seine ganz eigenen Probleme mit sich bringe. Denn den Becher des Kunden annehmen und befüllen darf der Handel aus Hygienegründen nicht.

Was es braucht, ist eine ehrliche Diskussion, ist Lies überzeugt. Nicht nur beim Thema Verpackungsmüll, sondern auch beim Diesel. Ministeramt hin oder her, Lies fährt, wie schon zu Zeiten als Wirtschaftsminister, einen Diesel als Dienstwagen. „Da stehe ich auch zu, weil ich sehr genau abgewogen habe, was Sinn macht.“ Für lange Strecken verwendet der Umweltminister ganz klar einen Diesel, für kürzere Strecken in der Region setzt er aber auf einen E-Up. „Ich fahre 70 000 bis 80 000 Kilometer pro Jahr. Mit einem Hybrid würde ich die meiste Zeit mit einer schweren, aber leeren Batterie herumfahren.“ Stattdessen kommt die Leistung vom Verbrennungsmotor, der mehr verbraucht und somit die Umwelt mehr mit CO2 belastet. „Das traut sich nur niemand mehr zu sagen, weil alle Angst haben, kritisiert zu
werden“, bedauert Lies.

All das zeigt: Umwelt, Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, das sind Themen mit viel Konfliktpotenzial. Auch in der Industrie, zum Beispiel der Elektrobranche, die das Osnabrücker Unternehmen Hellmann Process Management in ihren Nachhaltigkeitsstrategien als Dienstleister berät. „Im nächsten Jahr stehen wir vor der Herausforderung höherer Sammelziele“, sagt Pohl. Aktuell müssen laut EU-Vorgaben 45 Prozent aller Geräte, die in den letzten drei Jahren in Verkehr gebracht wurden, gesammelt werden. „Das bekommen wir in diesem Jahr gerade so hin. Ab nächstem Jahr steigt das Sammelziel auf 65 Prozent. Das wird schwierig.“

Sammeln und verwerten, für den Verbraucher wird das bei Plastik, Papier und Glas am deutlichsten. Das ist aber nicht alles. Sie haben an den Müllmengen, die in Niedersachsen entsorgt werden, nur einen geringen Anteil. Hauptsächlich entsorgt wird Bauschutt. In diesem Bereich sieht Lies noch großes Potenzial. „Hier müssten wir ein großes Interesse haben, die Materialien wieder im Kreislauf einzusetzen. Wir müssen intensiver überlegen, wie wir im Baubereich dafür sorgen können, Rohstoffe zurückzugewinnen oder vielleicht schon so zu bauen, dass dies intelligenter funktioniert.“ Das werde eine Herausforderung.

Eine Herausforderung für Industrie und Verwerter werden auch Veränderungen abseits der klassischen Elektroindustrie, macht André Pohl deutlich. Elektrische Lattenroste und Fernsehsessel, blinkende Turnschuhe oder intelligente Kleidung, auch sie fallen unter das Elektro- und Elektronikgesetz (ElektroG). „Wir haben mit einem Mal völlig andere Stoffströme.“ Und wie bekommt man Roh- und Schadstoffe aus dem Elektronikschrott wieder heraus? Das wird schon beim Akku des Smartphones heute schwierig. „Es gibt keine Klappe zum Aufschieben, keine Schraube und dann kommt noch das Problem, dass viele Bauteile
miteinander verklebt sind. Seltene Metalle und Erden kommen in so geringem Umfang vor, dass diese mit herkömmlichen Recyclingmethoden nicht zurückzugewinnen sind“, macht Pohl die Schwierigkeit deutlich.

Dabei müsste man mit Blick auf die Verfügbarkeit von Rohstoffen ein großes Interesse daran haben, Stoffe zurückgewinnen zu können. Als Beispiel nennt der Minister die Elektromobilität und das für Batterien notwendige Lithium. „Der entscheidende Punkt ist: Wie entwickelt man ein Produkt, das schon von Anfang an im Blick hat, wie es später entsorgt wird und die Rohstoffe zurückgewonnen werden können? Als Politik können wir diesen Prozess sinnvoll begleiten, indem wir zwischen Produkten mit einem besonderen Wert im Wertstoffkreislauf und jenen, die im Zuge der Wiederverwertung Schaden verursachen, differenzieren.“

Hier habe sich ein Dialog zwischen Politik, Herstellern und Recyclingunternehmen entwickelt, um die Entwicklung voranzutreiben, lobt Pohl. Denn nicht immer sind die Vorgaben der Politik nachvollziehbar – oder ökologisch sinnvoll. Als Beispiel nennt der Unternehmer die Rückgabe von Elektroaltgeräten, die bundesweit an kommunalen Stellen sowie im Handel erfolgt. „Aus verschiedenen Gründen ist die Zahl der Anlagen zum Recycling von Fernsehern stark zurückgegangen und die Wege für Dienstleister, die die Container von den Sammelstellen zur Recyclinganlage bringen, werden weiter.“ Wenn nun ein voller Container an der Sammelstelle übernommen werde, müsse dieser aufgrund gesetzlicher Vorgaben zeitnah zur Recyclinganlage gebracht werden. Auch, wenn es nachhaltiger wäre, auf einen zweiten Container zu warten, um mit einem vollen Lkw zu fahren.

Die Kritik kann Lies verstehen und gesteht ein, dass es an den einen oder anderen Stellen hakt. „Es ist wichtig zu sehen, wo das der Fall ist, um Abläufe effizienter zu machen.“ Daher gebe es einen stetigen Austausch. „Es wäre ein Fehler, wenn man sich ausschließlich am Schreibtisch die richtige Lösung überlegen würde.“

Und anders als früher müssten das Recycling und der Kreislaufgedanke heute ganzheitlich angegangen werden, betont Lies. Nicht nur beim Thema Verpackung. „Wir müssen uns schon bei der Produktentwicklung Gedanken darüber machen, wie wir die eingesetzten Komponenten wieder voneinander trennen und aufbereiten können“, so der Minister. Ein Aufwand, der sich rechnen muss. „Elektronik ist ein typischer Wegwerfartikel geworden.“ Geräte haben eine begrenzte Lebensdauer – auch weil sie recht günstig sind. „Der Preis hängt auch damit zusammen, dass die Geräte für die Frage des Recyclings zumindest nicht optimiert gebaut sind“, ist sich Lies sicher.

Die Bauweise von Geräten führe in der Industrie zu viel Diskussion, weiß Pohl aus der Praxis. Unter anderem bei Werkzeugen.„So sind viele Bauteile der Billigprodukte aus Asien verklebt und nicht mehr verschraubt“, macht er an einem Beispiel deutlich. Ändern auch die Hersteller hochwertiger Produkte die Bauweise? „Das würde bis zu zehn Prozent der Herstellungskosten sparen. Die Frage ist also: Ist der Kunde bereit, diese Mehrkosten zu zahlen.“ Hier dürfe die Politik durchaus aktiv werden, und zum Beispiel mit Ökodesign-Richtlinien werde sie das auch. „Man muss den Konsumenten informieren und motivieren – und nachhaltige Geräte zum Beispiel steuerlich bevorzugen“, sagt Pohl.

Der Wert eines Produktes erschließe sich dem Konsumenten heute oft gar nicht mehr, ergänzt Lies. „Wir müssen wegkommen von dem Gedanken, dass Qualität und gute Designs deutsche Produkte teuer und nicht mehr marktfähig machen.“ Ganz im Gegenteil. Die Tatsache, dass ein Gerät im Notfall repariert werden könne und Ersatzteile vorhanden sind, könne beim Verbraucher bewusst für einen Kauf sprechen.

Ob ein Produkt gut zu recyceln ist, weiß der Verbraucher oftmals nicht. Braucht es also ein Label der Politik? Umweltminister Lies ist da zurückhaltend. „Irgendwann wissen wir vor lauter Labeln nicht mehr, was wir kaufen.“ Auch Pohl ist vorsichtig und nimmt die Rückseite eines Notebooks als Beispiel. „Hier sieht man 17 Kennzeichnungen. Bei den wenigsten wird der Verbraucher wissen, wofür sie eigentlich stehen.“ Der Kunde müsse sich darauf verlassen können, dass ein Produkt gut recycelbar ist.

Ähnlich sieht es auch Lies. „Wir sind auf dem Weg sicherzustellen, dass der Preis eines Produkts am Ende die Aufbereitung sichert, der Recyclingaufwand also eingepreist ist.“ Dann könne dem Kunden auch egal sein, ob ein Label auf dem Produkt sei oder nicht. Und auch für die Wettbewerbsfähigkeit sei dieser Ansatz von Vorteil – und besser als ein Label. „Die Frage ist nur: Gilt das für alle Produkte oder nur in bestimmten Bereichen? Da wir ein großes Interesse daran haben, den Markt mit nachhaltigen Produkten zu sichern, sind wir gut beraten, in Zukunft immer stärker darauf zu achten, eine Gesamtbilanz der Produkte in den Blick zu nehmen – von der Erstellung bis zur Entsorgung.“ André Pohl sieht noch eine andere Entwicklung: Manch ein Hersteller überdenke seine Vertriebswege. Auch das führe zu nachhaltigeren Produkten. „Das Gerät wird nicht mehr verkauft, sondern die Dienstleistung beziehungsweise das hergestellte Produkt.“ Als Beispiel nennt er den Kopierer. Der Kunde kaufe nicht mehr das Gerät, sondern zahle die Kopien. „Also hat der Hersteller ein Interesse daran, das Gerät möglichst langlebig und nachhaltig zu bauen“, so der Unternehmer.

Pohl und Lies sind sich einig: Wenn es um Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Recycling geht, findet ein Umdenken statt – sowohl in der Wirtschaft als auch beim Verbraucher. Und: „Der Kunde kann sich bewusst im Supermarkt entscheiden, ob er die eingeschweißten oder die losen Äpfel nimmt, ob er den To-go-Becher nimmt oder verzichtet“, macht Lies deutlich. Braucht es dennoch ein Nachsteuern der Politik? Da bleibt der Minister skeptisch: „Wo sollte die Politik mit Verboten ansetzen, wo mit Anreizen? Wenn wir eine Akzeptanz wollen, ist es klüger, das Bewusstsein der Verbraucher zu schärfen“, ist er überzeugt. Auch über Kosten.

Für Pohl ist die Politik in manchen Bereichen ohnehin schon zu spät dran. „Der Handel zum Beispiel denkt in Sachen Verpackung und Recycling schon viel weiter.“ So habe die Schwarz-Gruppe mit Lidl nicht nur ein klares Statement abgegeben, wie in den nächsten Jahren die Menge an Verpackungsmüll drastisch reduziert werden soll, sondern mit der Übernahme der Tönsmeier-Gruppe aus Porta Westfalica auch einen Kreislauf geschlossen. „Ich bin überzeugt, dass diese Entwicklung erst der Anfang ist. Und sie ist konsumentengetrieben. Der Kunde hat Macht.“ Positiv wie negativ, ergänzt Lies. „Firmen wägen ab, sie entscheiden ökonomisch und ökologisch. Macht der Kunde nicht mit, muss man damit leben, dass Initiativen und Entscheidungen wieder zurückgedreht werden.“ Das Potenzial für Innovation sieht der Minister aber nicht nur bei großen Firmen. „Ganz im Gegenteil. Die Großen haben die Macht, etwas sehr schnell umzusetzen. Es gibt eine Reihe von Mittelständlern, die Trends setzen, aus der Nische kommen und sich durch den Produktgedanken unterscheidbar machen.“

Und was ist mit dem Vorwurf, dass aufgrund der strengen Vorgaben in Deutschland Produkte nicht konkurrenzfähig sind? „Die Vorwürfe kann man sich anhören. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass es in Deutschland nicht gelungen ist, wirtschaftlich erfolgreich zu sein“, so Lies. Ganz im Gegenteil, Expertise aus Deutschland könne auch international eingesetzt werden. „Bei der Entwicklung nachhaltiger Lösungen sind wir Vorreiter, und unsere Unternehmen bedienen mit ihrem Wissen und ihrer Kompetenz einen internationalen Markt. Hart an der Weiterentwicklung der Effizienz und der Ressourcenschonung zu arbeiten muss der richtige Weg sein.“ Gerade, um perspektivisch wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Ist Deutschland nun Musterknabe in Sachen Umwelt und Recycling? Für den Geschäftsführer von Hellmann Process Management kommt das ganz darauf an, welchen Aspekt man sich anschaut. „Wir sind sehr gut darin, Elektroaltgeräte zu sortieren. In osteuropäischen Ländern zum Beispiel gibt es deutlich mehr Fehlwürfe.“ Allerdings könnte die Bereitschaft, Altgeräte tatsächlich abzugeben, höher sein. Da seien uns unter anderem nordische Länder weit voraus. Und Pohl warnt auch: „Gerade in China ist aktuell die Investitionsbereitschaft in Recyclingtechnik groß. Da entsteht ein neuer Markt, und wir müssen aufpassen, dass wir nicht wie bei anderen Themen den Zug verpassen und zurückfallen.“

Während in Deutschland versucht werde, den Verbraucher von der Sinnhaftigkeit des Systems zu überzeugen und den Markt interessant zu machen, werde in China ganz anders gesteuert, macht Lies deutlich. Aber auch er warnt: „Innovation ist kein Selbstläufer. Wir dürfen in der aktuell wirtschaftlich starken Phase nicht vergessen, dass die Zeit nicht stehen bleibt – und andere aufholen.“
 

Vollständiges Interview als PDF
 

Video zum Interview (NOZ-Benutzerlogin erforderlich)


Quelle: Die Wirtschaft vom 20.12.2018
Autoren: Nina Kallmeier und Berthold Hamelmann

| Johanna Stein

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